[Chemnitz] Antifaschistische Solidarität praktisch werden lassen!

Anfang Juni 2019 fand in Chemnitz der diesjährige Nazi-Aufmarsch „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) statt. Über 1000 Menschen beteiligten sich an den Gegenprotesten. Neben einer Bündnis-Demo, Blockadeversuchen und einigen dezentralen Aktionen bei rechten Akteuren aus der Region konnten Antifas im Anschluss an die rechte Demo die Nazis hier und da in die Schranken weisen. Das alles blieb jedoch weit hinter dem zurück, was eigentlich an diesem Tag möglich gewesen wäre.
Im Nachgang der Mobilisierung süddeutscher Antifastrukturen in die Symbolstadt Chemnitz möchten wir eine Einschätzung treffen bezüglich der Notwendigkeit, auch weiterhin bundesweit zu Protesten gegen rechte Mobilisierungen – vor allem in Ostdeutschland – zu arbeiten.

Zu Beginn lässt sich festhalten, dass der diesjährige „TddZ“ bei weitem nicht so groß ausfiel, wie anfangs vermutet. Besonders die pogromartigen Ausschreitungen tausender marodierender Nazis im Spätsommer 2018, aber auch die Zahlen bei vergangenen Aufmärschen in Chemnitz ließen befürchten, dass auch diese Mobilisierung wieder ein solches Groß-Event der bundesdeutschen Naziszene werden könnte. Dabei ist die Tendenz der letzten Jahre eher, dass es vor allem spontane Mobilisierungen sind, die sich an punktuellen Ereignissen hochziehen und die das Potenzial haben, innerhalb kurzer Zeit tausende Rechte verschiedener Couleur zu mobilisieren und weniger die Veranstaltungen, die von rechten Parteien und Strukturen organisiert sind und auf die selbige lang im Voraus mobilisiert haben. So kamen am ersten Juniwochenende gerade einmal knapp 300 Faschisten, überwiegend aus dem Bereich der Nazi-Parteien „Die Rechte“, „Der Dritte Weg“ sowie die Überbleibsel der „Jungen Nationalisten“, in Chemnitz zusammen. Die seit 2009 jährlich stattfindende Nazimobilisierung „TddZ“, die es zeitweise schaffte, spektrenübergreifend tausend Rechte zu mobilisieren, befindet sich entsprechend der Tendenz der letzten Jahre somit weiter auf dem absteigenden Ast.

Bereits im letzten Jahr konnten wir uns in Chemnitz ein Bild davon machen, welche Ausmaße die Bedrohung von Rechts annehmen kann, wenn Nazis in einer Stadt nahezu ungehindert die Oberhand gewinnen und auf Menschenjagd gehen. Darüber hinaus schätzten wir wegen der dauerhaft starken Nazi-Strukturen in der Region den „TddZ“ in Chemnitz so ein, dass es notwendig ist, zu den Gegenaktivitäten zu mobilisieren und mit Bus- und koordinierten Autoanreisen die AntifaschistInnen vor Ort zu unterstützen. Zum einen, weil wir davon ausgehen, dass es unsere Aufgabe und unsere Verantwortung ist, als AntifaschistInnen nicht nur lokal zu handeln. Vielmehr müssen wir eben auch andere Regionen mit großen Nazi-Problemen im Blick haben, wenn notwendig dort aktiv werden und die lokalen Antifas supporten, die tagtäglich mit dem Nazi-Problem konfrontiert sind. Hier, durch das Verlassen der eigenen „Wohlfühlzonen“, wird die vielbeschworene Solidarität nicht nur eine Worthülse, sondern konkret. Zum anderen, weil wir die Möglichkeit sehen, bei Protesten gegen rechte Veranstaltungen dieser Größenordnung Erfahrungen zu sammeln, eine gemeinsame kämpferische Straßenpraxis zu entwickeln, die in weiten Teilen des „Westens“ nicht denkbar ist, und natürlich die Nazis vor Ort effektiv in die Schranken zu weisen.

Was vor knapp zehn Jahren Hauptbetätigungsfeld antifaschistischer Arbeit war, nämlich die Konzentration auf Kampagnen gegen rechte Groß-Events wie beispielsweise Dresden, Dortmund, Magdeburg usw., liegt seit einigen Jahren nahezu vollständig brach. Vor allem die Folgen und Auswüchse des seit Jahren wachsenden Aufwinds der AfD und der Rechtsentwicklung der übrigen politischen Parteien haben dazu geführt, dass sich der Fokus der Antifa-Arbeit zurecht und notwendigerweise auf das Bekämpfen und Zurückdrängen rechter Strukturen vor Ort verlagert hat. So weit, so gut. Es ist unserer Einschätzung nach allerdings falsch, das Eine zu tun und deshalb das Andere zu vernachlässigen. Denn schließlich teilen ja auch fast alle antifaschistischen Strukturen die Einschätzung, dass sich im Windschatten eines zunehmend rechten Klimas militante, faschistische Strukturen entwickeln, das rechte Potenzial bündeln und durch Angriffe usw. praktisch werden lassen. Beispiele hierfür sind neben den Ausschreitungen in Chemnitz die „Gruppe Freital“, die „Oldschool Society“, der „NSU 2.0“, bewaffnete „Blood&Honor“-Strukturen und – nicht zu vergessen – die ganzen Übergriffe auf den Straßen oder auf Geflüchtetenunterkünfte, die fast täglich stattfinden.

Gerade anhand großer rechter Mobilisierungen, die in der kürzeren Vergangenheit stattfanden, zeigt sich, dass die Antifaschistische Bewegung in Deutschland kaum noch in der Lage dazu ist, große Menschenmassen praxisbezogen zu Antifa-Mobilisierungen auf die Straße zu bringen und den Faschisten selbstbewusst und kämpferisch Grenzen aufzuzeigen, auf allen Ebenen, mit allen Mitteln. Wir selbst nehmen uns davon nicht aus. Auch der „TddZ“ in Karlsruhe vor zwei Jahren war Ausdruck dieser Entwicklung, obwohl die militärische Besetzung großer Teile der Stadt durch die Cops, wie es in Süddeutschland mittlerweile üblich ist, sicher ihren Teil dazu beitrug.

Ausgehend von dieser (Selbst-)Einschätzung und unseren Erfahrungen der letzten Jahre wollen wir abschließend ohne Anspruch auf Vollständigkeit zwei Punkte nennen, die wir für eine erfolgversprechende Antifa-Aktion als wichtig erachten:

Der antifaschistische Kampf ist seinem Wesen nach ein Abwehrkampf gegen reaktionäre Entwicklungen und die konkrete Gefahr vor rechten Angriffen auf unsere Bewegung. Er sollte daher spektrenübergreifend geführt werden, denn hier ist gewiss kein geeigneter Ort für Sektierertum und Spalterei innerhalb der Linken oder für eine Auseinandersetzung über die „richtige“ oder „falsche“ revolutionäre Strategie.

Wenn Nazis aufmarschieren, können wir uns nicht einfach mit einer Gegendemo begnügen und es dann als Erfolg verkaufen, „mehr“ gewesen zu sein. Für uns sollte es erklärtes Ziel sein, den Rechten so weit es geht auf die Pelle zu rücken und die direkte Konfrontation mit ihnen zu suchen. Durch entschlossenes Handeln gilt es, den politischen Gegner ganz konkret in seinem Tun einzuschränken. Nur daran kann sich unser Erfolg bemessen.

Wir wollen hier nicht einfach unseren „Unmut“ kundtun oder einzelnen Strukturen an den Karren fahren, weil sie am 1. Juni nicht mit den GenossInnen in Chemnitz auf der Straße waren. Das können und wollen wir nicht beurteilen. Wir würden uns vielmehr freuen, wenn Ihr unsere Überlegungen zum Anlass nehmt, darüber zu diskutieren, wie wir als antifaschistische Bewegung vorankommen können. Wir haben die Einschätzung, dass es zunehmend notwendig wird, uns neue selbstbestimmte Aktionsformen anzueignen und unsere Praxis – ganz konkret auf der Straße – weiterzuentwickeln, um den Rechten und Nazis nachhaltig etwas entgegensetzen zu können.

Der diesjährige „TddZ“ wäre dazu vermutlich eine geeignete Gelegenheit gewesen und sicherlich gab es dort auch an den ein oder anderen Stellen selbstbestimmte Aktionen. Was wir brauchen, das ist eine große Masse an Menschen, die es schafft, sich gemeinsam, organisiert und kämpferisch den FaschistInnen in den Weg zu stellen, und die sich bei der Wahl der dazu notwendigen Mittel nicht von den bürgerlichen Gesetzen einschränken lässt. Die Erkenntnis der Notwendigkeit, gegen Nazis und FaschistInnen direkt vorzugehen, gilt es hierbei genauso zu vermitteln, wie die Fähigkeit, diese Mittel mit großen Menschenmengen anzuwenden.

Alle zusammen gegen den Faschismus! Es gibt kein ruhiges Hinterland!


Antifaschistische Aktion Karlsruhe

Antifaschistische Aktion (Aufbau) Mannheim
Antifaschistischer Aufbau München
Antifaschistische Perspektive Rems-Murr / Ludwigsburg
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart
Antifaschistische Aktion [Aufbau] Tübingen
Antifaschistische Aktion [O] Villingen-Schwenningen