Debattenbeitrag zu antifaschistischer Bündnisarbeit

Vor etwa drei Monaten trat die Veröffentlichung der Correctiv-Recherche eine nicht vorhersehbare Dynamik los und tausende Menschen sind in ganz Deutschland gegen Rechts auf die Straße gegangen. Lange ist es her, dass das Arbeitsfeld, in dem wir seit Jahren kämpfen, so viel Beachtung erfahren hat: Eine Chance und Herausforderung zugleich! Doch trotz aller Euphorie und breiter Anti-Rechts-Stimmung, blieb es nicht aus, dass sich manche Veranstalter von antifaschistischen und linken Gruppen distanzierten – also von denen, die schon seit Gründung der AfD auf ihre Gefahr hingewiesen haben. In Tübingen haben wir sehr gut beobachten können, wie CDU und FDP in Leserbriefen und Pressemitteilungen gegen uns schossen, und so versuchten, Fridays For Future als Veranstalter der Kundgebung unter Druck zu setzen. Als Antifaschistische Aktion Tübingen und als Offenes Treffen gegen Faschismus & Rassismus für Tübingen und die Region haben wir die Ereignisse der letzten Monate zum Anlass genommen, um zu diskutieren, wie wir einen Teil der Massenproteste gegen Rechts langfristig in Aktion bringen können und wie unsere eigene, eine linke Antwort aussehen muss, um den Rechten langfristig das Wasser abzugraben. Dafür haben wir uns angeschaut, in welche gesellschaftlichen Situation wir uns aktuell befinden, was den Faschismus an der Macht ausmacht und an welche historischen Debatten und Erfahrungen wir anknüpfen können. Einige Überlegungen rund um die Ebene der antifaschistischen Bündnisarbeit haben wir in dem folgenden Statement kurz zusammengefasst.

Stehen wir in Deutschland kurz vor dem Faschismus 2.0?

Wir befinden uns in einer Krise des Kapitalismus, mit der eine zunehmende imperialistische Konkurrenz einhergeht. In dieser veränderten Situation der Weltwirtschaft muss sich auch die deutsche Industrie behaupten, bspw. indem die Kapitalisten die Lebensumstände für einen Großteil der Menschen in Deutschland verschlechtern (Lohnniveau senken, Billiglohnsektor ausbauen, Sozialleistungen kürzen,…). Um das durchzusetzen, brauchen die Kapitalisten aktuell noch keinen Faschismus an der Macht, von SPD & Grüne bis hin zu CDU & FDP sind alle bereit, die Angriffe auf unsere Klasse mit zu tragen. Es findet also in den bürgerlichen Parteien spürbar merklich eine Rechtsentwicklung statt: Asylgesetzverschärfungen, Aufrüstung und Krieg auf Kosten von Sozialem, härtere Repression gegen Linke, Diskussionen um die Einschränkung des Streikrechts und Streichungen im Sozialhaushalt, um nur einige Faktoren zu nennen.

Und trotzdem schafft es die Ampel, sich als fortschrittlich zu geben. Sie steht für eine vermeintlich „feministische Außenpolitik“, für „Diversity“, für „Umweltschutz“ und „gegen die AfD“. Überwiegend wurde die Welle der großen Anti-Rechts-Proteste von sehr breiten Bündnissen organisiert, in denen oft die Grünen und die SPD den Ton angaben – mit einigen wenigen Ausnahmen, wie bspw. in Stuttgart, wo ein linkes Bündnis mehre Protestkundgebungen organisierte, an denen sich tausende Menschen beteiligten.
Dass die regierenden Parteien versuchen, von der allgemeinen „Anti-AfD“-Stimmung zu profitieren, wundert bei ihren grottigen Umfragewerten wenig. Ein gelungenes Ablenkungsmanöver davon, dass ihre Politik der AfD den Weg ebnet. Denn von den Abstiegsängsten, die durch das bürgerliche Krisen-Management befeuert werden, profitiert aktuell fast ausschließlich die AfD. Geschickt verkauft sie sich als vermeintliche Opposition und schmeißt mit pseudosozialen Phrasen um sich (Sicherung von Arbeitsplätzen, wirtschaftlicher Aufschwung, Frieden usw.) Paradoxerweise greift die AfD berechtigte Unzufriedenheit zwar auf, sollte sie in Regierungsverantwortung kommen, können wir aber mit einer rasanten Verschärfung dieser jetzt schon ungerechten Verhältnisse rechnen. Diese weitere Verschärfung macht den Faschismus an der Macht aber noch nicht aus. In aller Kürze: Der Faschismus an der Macht ist eine Form bürgerlicher Herrschaft, eine Variante der Herrschaft des Kapitals. Anders als die bürgerliche Demokratie, ist er eine offen terroristische Diktatur. Er besteht aus einem Bündnis von faschistischer Partei und den reaktionärsten Teilen des Kapitals. Wir sprechen deshalb nicht von einer Machtergreifung, sondern von einer Machtübergabe. Der Faschismus an der Macht wird für die Herrschenden dann zur realen Option, wenn der Kapitalismus in einer so tiefen Krise steckt, dass sie ihre Ziele innerhalb der bürgerlichen Demokratie nicht mehr verwirklichen können. Der Faschismus an der Macht bedeutet die Vernichtung der Arbeiter:innenbewegung, die Zerschlagung de Gewerkschaften und die Verfolgung von Kommunist:innen sowie allen anderen seiner Gegner.

Aktuell sympathisiert zwar ein kleiner Teil der Wirtschaft mit der AfD (darauf wies bspw. Die Correctiv-Recherche hin): die große Mehrheit der Kapitalisten, vor allem das exportorientierte Kapital, sehen ihre Interessen aber (noch) nicht durch die AfD und ihre faschistischen Machtfantasien vertreten. Das heißt, die AfD hat bei den kommenden Landtagswahlen im Osten ganz sicher gute Chancen auf eine Regierungsverantwortung, wir befinden uns aber nicht kurz vor einer Machtübergabe an die Faschisten. Nicht zu leugnen ist aber eine stärker werdende faschistische Bewegung, die ihren Platz durchaus auch in der AfD findet.

Was heißt das für eine antifaschistische Bündnisarbeit?

Von hunderten Bühnen wurde sich Anfang diesen Jahres verpflichtet, die Protestwelle nicht abreißen zu lassen, aber schon jetzt ist deutlich spürbar, wie das kurze Feuer nach und nach ausglüht. Die Antwort auf die Frage „Wer und wie stoppen wir den Aufstieg der AfD?“ bleibt weiter heiß diskutiert. Auch in linken Kreisen kursiert die Annahme, wir stünden kurz vor dem Faschismus und der opportunistische Ansatz, alle Kräfte (außer die AfD), müssten sich jetzt zusammentun, wird populärer. Die Spitzen der DGB-Gewerkschaften haben sich erst kürzlich mit Arbeitgeberverbänden an einen Tisch gesetzt, um sich gemeinsam gegen die AfD zu positionieren und der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch in BaWü hat das „Bündnis für Demokratie und Menschenrechte“ ins Leben gerufen. Wie wir uns als linke Kräfte zu diesen Initiativen verhalten sollen, wird unterschiedlich oder gar nicht beantwortet. Die Debatte ist keine neue und ähnelt im Grundsatz einer Frage, die Kommunist:innen schon Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigte: brauchen wir eine klassenübergreifende Volksfront oder eine linke Einheitsfront gegen den Faschismus, deren Hauptinhalt die Verteidigung der Interessen der arbeitenden Klasse gegen den Faschismus ist? Die Begriffe mögen veraltet klingen, die Frage, die sich dahinter verbirgt, ist es aber nicht. Sebastian Friedrich schreibt 2016 in einem Artikel in der AK – Analyse & Kritik: „Es wäre falsch, eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien grundsätzlich abzulehnen. Wie breit oder eng Bündnisse sein sollten, hängt von der konkreten Situation, dem gemeinsamen Ziel und vor allem von der Machtkonstellation ab. Um es vorweg zu nehmen: Angesichts des gesellschaftlichen Hintergrunds, vor dem sich der Aufstieg der Rechten abspielt, droht die Linke in breiten Bündnissen gegenwärtig vom Machtblock absorbiert zu werden“, schreibt Sebastian Friedrich 2016 in der AK – Analyse & Kritik.

Wir denken, zur unmittelbaren Abwehr des Faschismus an der Macht oder um einem faschistischen Machtblock spürbar zu schaden, kann es für linke Kräfte ein taktisches Mittel sein, sogenannte „Volksfront“-Bündnisse einzugehen. Versucht wurde das bspw. in den 1930er Jahren in Frankreich und Spanien. Ein aktuelles Beispiel für eine Art Volksfront-Bündnis ist die Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“, der sich SPD und Grüne, aber auch die Interventionistische Linke oder TOP Berlin (…ums Ganze!) als Erstunterzeichner anschlossen. Beide konnten zwar größere Massenmobilisierungen in Gang bringen, gegen die Bedingungen, die den Aufstieg der Rechten erst möglich machten, wird die Kampagne aber nicht aktiv und bleibt so eher ein zahnloser Tiger.

Die AfD wird überdurchschnittlich oft von Arbeiter:innen gewählt, deshalb denken wir, es braucht jetzt keine Bündnisse, die so breit wie möglich sind. Dass wir uns als Linke mit einer eigenen Position an den Massenprotesten gegen Rechts beteiligt haben, war als Teil einer kurzfristigen Antwort auf die AfD richtig. Es muss aber mittelfristig auch unsere Aufgabe sein, diejenigen anzusprechen, die die AfD wählen, weil sie von der Regierung enttäuscht sind, die reale Abstiegsängste und Armut in die Arme der AfD treiben. Deshalb braucht es einen Antifaschismus mit Klassenstandpunkt und den Aufbau einer Einheitsfront von unten. Ein historisches Beispiel für eine Einheitsfront gegen den Faschismus, ist die von der KPD 1932 ausgerufene „Antifaschistische Aktion“ (die von der SPD offiziell abgelehnt wurde), die dann bspw. im Mössinger Generalstreik praktisch wurde.

  • Wir müssen überzeugte Faschisten in und um die AfD entschieden bekämpfen, hohle Lippenbekenntnisse haben wir genug gehört! Das heißt, wir brauchen Bündnisse, die auf eine praktische Intervention auf der Straße ausgelegt sind, die eine breite Masse an Menschen in Aktion bringen und, für die verschiedene Protestformen gegen Rechts legitim sind!
  • Wir müssen aktiv bleiben, auch wenn der „Trend“ vorbei ist! Wir brauchen Bündnisse, die auf eine langfristige Zusammenarbeit angelegt sind und, die den Rechten aus einem ehrlichen Interesse den Kampf ansagen wollen!
  • Wir müssen den Kampf um die Köpfe führen! Der Kampf gegen den Faschismus liegt objektiv im Interesse der arbeitenden Klasse, das muss sich auch auf die Wahl unserer Bündnispartner:innen ausschlagen. Wir brauchen also Bündnisse, die die scheinsozialen Phrasen der Rechten enttarnen, die die rechte Realpolitik der Regierung als Brandbeschleuniger kritisieren und, die sich darüber einig sind, dass die Rechten die Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse im Kapitalismus weiter vorantreiben und wir dagegen aktiv werden müssen.

Ganz sicher gibt es auch Fallstricke und Hürden im Aufbau solcher Bündnisse und die Voraussetzungen sind je nach Ort unterschiedlich: die Wahl der Bündnispartner:innen ist manchmal leichter gesagt als getan, die Diskussion und Vermittlung antikapitalistischer Positionen ist kein Selbstläufer und die Gefahr in solchen Bündnissen vollends aufzugehen ist real. Deshalb müssen wir uns bewusst rote Haltelinien setzen und den antifaschistischen Kampf auf allen Ebenen vorantreiben: neben antifaschistischen Bündnissen braucht es Offene Antifaschistische Treffen als Anlaufstelle für viele Menschen, es braucht eine Antifaschistische Organisation, die den Kampf überregional vorantreibt, es braucht die direkte Konfrontation mit den Faschisten und eine echte Alternative von Links zum herrschenden Elend!

Aktiv werden!

Du willst gemeinsam mit uns aktiv werden? Du hast Lust den nächsten Anti-AfD-Protest zu organisieren? Du interessierst dich für alles rund ums Thema Antifaschismus und möchtest Teil einer vielfältigen Praxis sein? Dann laden wir dich herzlich ein ins Offene Treffen gegen Faschismus und Rassismus für Tübingen und die Region (OTFR) !

Wir treffen uns immer am zweiten Monat im Monat im Linken Laden Trude Lutz (Münzgasse 4 in Tübingen)